Ein Erdbeben hat am Morgen Leipzig erschüttert. Es war eines der stärksten Beben der vergangenen Jahrzehnte in Ostdeutschland. Gläser im Schrank vibrierten genauso wie die Computer in den Büros / Forscher beobachten verstärkte vulkanische Aktivität in Mitteldeutschland: Unerwartete Erdbeben schütteln die Region, Gase lassen Tümpel brodeln. Was geht da vor?
In der Region Halle-Leipzig bebte am frühen Morgen die Erde. Das Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt registrierte am Donnerstag gegen 8.38 Uhr eine Erschütterung der Stärke 3,6. Dies gilt zwar als sehr leichtes Beben. Es sei aber eines der stärksten der vergangenen Jahrzehnte im Osten Deutschlands gewesen, erklärte das Amt.
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover sprach von einer Stärke 3,3. Nach ersten Erkenntnissen des Landesamtes lag das Epizentrum 15 Kilometer südöstlich von Halle in einer Tiefe von etwa 22 Kilometern. Der Polizei lagen zunächst keine Angaben über Schäden vor.
Wie die “Leipziger Volkszeitung” berichtet, war der Erdstoß im gesamten Leipziger Stadtgebiet bemerkbar. Die Menschen berichteten, dass in den Büros die Computer und die Gläser im Schrank vibrierten. Das Beben dauerte nur wenige Sekunden. Menschen in einem Umkreis von rund 50 Kilometern hätten die Vibration bemerkt.
Stärkstes Beben im Raum Halle-Leipzig
Seismologe Klaus Stammler sagte der Zeitung, die Erschütterung habe eine natürliche Ursache und hänge mit der geologischen Störungszone zwischen Leipzig und Regensburg zusammen.
Während im Vogtland Erschütterungen dieser Stärke nicht unüblichen seien, habe im Raum Leipzig-Halle die Erde noch nie so stark gebebt. Besorgte Bürger hätten den ganzen Morgen bei ihm angerufen, sagte Stammler.
In Sachsen meldeten sich mehrere Bürger beim Geophysikalischen Observatorium Collm, wie das dortige Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie mitteilte. “Die Experten sind noch dabei, alle Daten auszuwerten”, sagte der Geologe Ottomar Krentz.
Auf Twitter schreiben einige Leipziger, wie sich das Beben anfühlte, zum Beispiel, als ob “T-Rex durch die Straßen läuft”.
Viele Erdbeben nicht zu spüren
Laut Petra Buchholz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geophysikalischen Observatorium am Collm, sind leichtere Erdbeben in Leipzig nicht selten. Menschen bemerkten sie oft aber gar nicht. Buchholz erinnert sich noch an einen Vorfall aus dem Jahr 1982. Damals notierten die Physiker eine Erschütterung, die vor allem im Stadtteil Stötteritz zu fühlen war. Auf der Richterskala erschien damals ein Wert von 2,4. Zuletzt kam es Mitte 2014 bei Pegau zu einem Erdbeben der gleichen Stärke.
Nach Angaben von Ottomar Krentz vom Landesamt für Geologie gilt ein Erdbeben mit der Intensität 7 bei Gera im Jahr 1872 als das stärkste in Mitteldeutschland. Dieser Wert beschreibe, wie die Menschen das Naturschauspiel an der Erdoberfläche gespürt hätten. Genaue Messungen seien erst seit 1901 möglich, die heute gültige Richterskala wurde 1927 eingeführt. Quellen wie Kirchenbücher berichten auch aus den Jahrhunderten zuvor von teils noch heftigeren Erdbeben in Mitteldeutschland. Die Aufzeichnungen gelten aber als ungenau, weil die Werte für die Erschütterungen später aus den beschriebenen Schäden abgeleitet wurden.
Das Erdbeben vom Donnerstag ist laut Stammler in einer Tiefe von rund 22 Kilometern registriert worden. Genaue Daten lägen noch nicht vor. Tiefe Erdbeben sind meist weniger intensiv als oberflächennahe, dafür aber in einem größeren Umkreis zu spüren. Am Donnerstag haben Menschen in einem Radius von rund 60 Kilometern die Vibration bemerkt. Ein kleineres Nachbeben registrierten die Seismologen gegen 9.35 Uhr.
Erschütterung im Waldstraßenviertel
Anfang März spürten die Bewohner des Waldstraßenviertels ein angebliches Erdbeben und riefen aus Angst die Feuerwehr. Die Ursache war schnell gefunden. In der benachbarten Arena spielte die Band Kraftklub ein Konzert. Dort sprangen 8000 Fans gleichzeitig im Takt. Schuld an dem kuriosen Phänomen war offenbar der hohe Grundwasserspiegel. „Die Fans haben die Bodenplatte der Arena zum Schwingen gebracht. Über das Grundwasser haben sich die Druckwellen ausgebreitet“ erklärte Feuerwehrsprecher Joachim Petrasch. Fachleute sprechen von einem hydromechanischen Ereignis.
Ungefähr zur selben Zeit gab es im Leipziger Zentrum-Nordwest einen Stromausfall, dessen Ursache aber wohl eine andere war, wie der MDR berichtet.
(Erdbeben im Dreiländereck 2014: “Überraschend starke Schläge”)
Aufsteigende Gase: Der unheimliche Atem des Vogtland-Vulkans
Es ließ sich gut leben mit dem Vulkan unter den Füßen im Dreiländereck von Bayern, Sachsen und Böhmen. Schon Goethe badete in den Thermalquellen von Karlsbad – das blubbernde Wasser verdankt die Gegend einer monströsen Magmablase in großer Tiefe.
Nun berichten Wissenschaftler auf der Jahrestagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union (EGU) in Wien über rätselhafte Veränderungen im Untergrund. Fast scheint es, der Vulkan würde bockig. Deutlicher denn je macht er auf sich aufmerksam.
Ans leichte Zittern des Bodens hatten sich die Anwohner gewöhnt. Alle paar Jahre ließen Erdbeben-Schwärme das Dreiländereck wochenlang vibrieren. Zuletzt im Herbst 2011, davor im Herbst 2008, im Herbst 2000 und im Winter 1985. Es sind Lebenszeichen des Vulkans: Vom Magma erhitztes Grundwasser steigt auf, zwängt sich durch Gesteinsritzen, bis der Fels ruckelt.
(Mofette im Dreiländereck: Vulkangase lassen Tümpel brodeln)
Die Beben haben sich verändert
Das stärkste gemessene Beben hatte die Stärke 4,6 auf der Richterskala – ab einem Wert von 5 würde es gefährlich: Schornsteine und einfache Mauern können zusammenbrechen. Doch die Erdbeben-Historie der Region zeige, dass die Stärke 5 nicht übertroffen werde, glaubten Geoforscher.
Das Vogtland schien über eine eingebaute Starkbeben-Sicherung zu verfügen. Die Schwarmbeben wirkten als Gefahrensenker für die Region, hofften Experten: Sie entschärften die Spannung im Gestein und somit auch die Bedrohung durch starke Stöße. Doch die Beben haben sich verändert.
Früher kamen sie als leichtes Grollen Tausender schwacher Stöße, die nach Tagen ihren Höhepunkt fanden in einem dumpfen Schlag, der zuweilen Putz von den Wänden bröckeln ließ. Im Laufe weiterer Tage oder Wochen erstarb das Zittern. Im vergangenen Jahr jedoch passierte Erstaunliches: Ohne vorherigen Trommelwirbel machte die Erde einen Ruck.
Verstärkter Vulkan-Atem
“Während in den letzten Jahrzehnten stets nur typische Schwarmbeben auftraten, gab es am 24. Mai 2014 ein relativ starkes Beben der Magnitude 3,5 als erstes Ereignis”, berichtet Jens Heinicke von der Karls-Universität Prag auf der EGU-Tagung. “Am 31. Mai folgten außergewöhnlich starke Beben mit Magnituden bis 4,5″, wundert sich der Seismologe. Die Beben waren bis nach Leipzig und weit hinein nach Bayern spürbar.
Am Donnerstagvormittag nun haben Sensoren das stärkste jemals registrierte Beben direkt in der Region Halle/Leipzig aufgezeichnet. Das Ruckeln der Stärke 3,3 ereignete sich an einer Spalte im Untergrund, die bis ins Dreiländereck reicht – ein Zusammenhang mit dem Vulkan scheine möglich, erklären Experten auf der EGU-Tagung.
“Der Wandel der Beben hat uns überrascht”, ergänzt Tomas Fischer, ebenfalls Erdbebenforscher an der Karls-Universität. Veränderungen hatten sich zwar angedeutet; die Schwärme waren mit jedem Mal kürzer geworden. Aber 2014 ereignete sich der Hauptschlag erstmals ganz am Anfang. Kann es vielleicht doch heftiger beben als angenommen, fragen sich die Gelehrten. “Die Ursache des Wandels kennen wir nicht”, sagt Fischer.
Zugleich registrierten Forscher ein verstärktes Atmen des Vulkans: Nach den Beben im Mai 2014 strömte fünfmal mehr Vulkangas aus dem Boden, berichten Heinicke und Fischer. Vor allem Kohlendioxid ließ wochenlang Tümpel, sogenannte Mofetten, in Westböhmen regelrecht brodeln. Vermutlich hätten die Beben den Boden aufgerissen und damit den Weg für Gase freigemacht, meint Fischer.
(Gemessener Kohlendioxidstrom aus dem Boden: Nach den wuchtigen Erdbeben im Mai 2014 quoll fast fünfmal mehr Gas aus der Erde. Forscher diagnostizieren eine “Zunahme magmatischer Aktivität”)
Magma in Wallung
Dass es bebt, liegt wohl vor allem am unentwegten Gasstrom aus der Tiefe, der die Erde unter Spannung setzt. Es quillt gar so viel Helium-3-Gas aus dem Boden wie am Ätna, einem der aktivsten Vulkane der Welt. Das Isotop Helium-3 stammt aus großer Tiefe – im Gegensatz zu Helium-4, der gängigen Variante des Edelgases.
In den vergangenen Jahren hat sich der Anteil von Helium-3 gegenüber Helium-4 deutlich erhöht. Nirgends sonst in Mitteleuropa wurden so große Mengen vulkanischen Heliums gemessen wie im Dreiländereck. Steigt also Magma auf?
“Anzeichen, der Vulkan würde erwachen, haben wir nicht”, betont Fischer. Gleichwohl scheine das Magma in Wallung geraten zu sein: Der verstärkte Aufstieg von Kohlendioxid und Helium-3 weise auf “eine langsame Zunahme magmatischer Aktivität”, meint der Seismologe.
Heißer Gesteinsbrei
Der heiße Gesteinsbrei drängt hinauf bis 30 Kilometer unter den Boden des Dreiländerecks. Darauf deuten Bilder des Untergrunds, die mithilfe von Druckwellen erzeugt werden: Wie Lichtstrahlen werden die Wellen an der Grenze verschiedener Gesteinsschichten gebrochen – ihre Reflexionsmuster bilden die Eingeweide des Planeten ab.
Die Messungen zeigen, dass sich in 30 bis 60 Kilometer Tiefe heißes Gestein mit der Konsistenz von Glas staut. Es sind offenbar die Relikte eines Vulkans, der vor rund 300.000 Jahren erloschen ist. Würde der Weg nach oben frei, ergösse sich erneut Lava übers Land.
Die Strecke zur Oberfläche ist lang. Doch in Jahrtausenden, mit steigendem Druck aus der Tiefe, könnte der Vogtland-Vulkan erneut explodieren.
Literatur:
Die Erde hat ein Leck: Und andere rätselhafte Phänomene unseres Planeten von Axel Bojanowski
Vulkane, Schluchten, Höhlen: Geologische Naturwunder in Deutschland von Manuel Lauterbach
Quellen: n24.de/lvz-online.de/SPON/juskis-erdbebennews.de/Uni Leipzig vom 16.04.2015